Martin Schmitz Verlag

Die Kuh ist unser Schicksal
Bernhard Kathan über «Herrschaft, Kontrolle und Rinderhaltung»

Kühe erzeugen Aufmerksamkeit, wenn es um die Milchpreise
geht oder wenn sich die Rinderseuche ausbreitet und massenhaft Tiere geschlachtet werden. Das Alltagsleben der Kühe kennt die urbane Bürgerschaft in der Regel nicht mehr. Für den österreichischen Künstler und Sozialwissenschafter Bernhard Kathan ist alles Wesentliche im automatisierten Kuhstall von heute zu beobachten. Hier sieht man, wie modernes «Herdenmanagement» funktioniert. Zentral ist, wie er in seinem Buch über «Herrschaft, Kontrolle und Rinderhaltung» vor Augen führt, ein Dispositiv, in das eine spezifische Organisation von Bewegungsabläufen eingeschrieben ist. Die Kühe bewegen sich in einem System von Gängen mit Schranken, Zugangssperren, Datenerhebungen und funktionellen Stationen wie Melkroboter, Kraftfutterausgabe, Besamung, Ruhezonen. Im Vergleich dazu erscheint die aus den Bauernhöfen der fünfziger und sechziger Jahre bekannte Doppelreihe von angeketteten Rindern als geradezu altmodisch.

Das Ende der kleinbäuerlichen Kultur

Entscheidend für die Funktionsweise der modernen Rinderhaltung ist nicht nur, dass für den Einsatz jeder einzelnen Maschine, wie immer bei der Automatisierung, gute Gründe der Arbeitserleichterung und des höheren Outputs angeführt werden können, sondern dass sich die Objekte des Arrangements zwanglos in die Anordnung fügen. Sie werden nur noch durch ihre Bedürfnisse statt durch eine Peitsche getrieben. Die Hersteller der Automaten zur Rinderhaltung werden nicht müde, dies hervorzuheben, und nicht zufällig vermischen sich die Interessen an maximaler Ausbeutung der Kuh mit der Anpreisung sogenannter «artgerechter» Haltung.
Was sollte daran auszusetzen sein? Kathan, der Chronist der untergehenden kleinbäuerlichen Kultur («Strick, Badeanzug, Besamungsset. Ein Nachruf auf die kleinbäuerliche Kultur», 2006), kontrastiert die Gegenwart mit dem Wissen um eine Landwirtschaft, in der derselbe Bauer, der die Kuh schlachtete, sie beim Namen nannte und sie unter hundert anderen erkannte. Charakteristisch für das Herdenmanagement durch Automaten ist dagegen die Verwandlung der Herde in unterschiedslose Einzelne. Die kleinbäuerliche Wirtschaft kennt noch eine Bindung zwischen Mensch und Tier, welche sich mit der Auftrennung eines vormals geschlossenen Lebenszusammenhangs auflöst. Die Einführung moderner Technik spielt hierbei, wie Kathan an anderer Stelle am Beispiel der Auslagerung des Schlachtens in fabrikmässig organisierte Schlachthöfe gezeigt hat, die entscheidende Rolle der Zerlegung und Entindividualisierung eines vormals organischen Prozesses der Reproduktion des Lebens («Zum Fressen gern. Die Kuh ist unser Schicksal-Zwischen Haustier und Schlachthof», 2004).
Für gewöhnlich wird die Fleischproduktion auf der Nordhalbkugel des Planeten unter ökologischen oder tierschützerischen Aspekten skandalisiert. Doch Kathan gräbt tiefer. Schon im zweiten der durchweg knappen und als Materialpräsentationen angelegten Kapitel überrascht er, indem er von der Kuh zum Menschen übergeht und Sades mädchenverbrauchende Theatermaschine aus «Sainte-Maries des Bois» von 1797 vorführt. Der Punkt des Vergleichs liegt in der Mechanik einer Herrschaftsanordnung, die bei Sade allerdings nicht ohne Gewalt auskommt. Im weiteren Verlauf schickt uns Kathan im Zickzack zwischen Tier- und Menschenwelt hin und her: Peepshow und Beichtstuhl bieten, allein unter dem Gesichtspunkt einer verfügenden Anordnung über Blicke, Begehren und Verpflichtungen, überraschende Parallelen zum modernen Kuhstall.
Verkehrsordnungen der Sexualität, des Glaubens und des Automobilismus bilden Parallelen zur Tierhaltung, und zwar – so Kathans These – keine zufälligen. Eine formale, aber herrschaftstechnisch hochwirksame Gemeinsamkeit besteht in der Aufrechterhaltung einer ununterbrochenen Bewegung, welche keine Unterbrechungen und keine Wechsel zwischen den Bedeutungsebenen der Handlungen erlaubt. Sie finden nur im Hier und Jetzt statt, sind distanzlos im räumlichen wie im zeitlichen Sinne. Da kommt kein Tiefsinn auf, sondern nur fragloser Gehorsam.
Die raschen Gegenschnitte von Kuhstall- und Menschenwelt führt Kathan vielfach im Medium der Literatur. Er hat eine viele tausend Seiten umfassende Lektüre betrieben, die belegt, dass die «schöne neue Kuhstallwelt» nicht nur ein technisches Faktum ist, sondern ein Diskurs, der sich seit mehr als zweihundert Jahren entwickelt hat. Naheliegend, dass die von der Produktion des «neuen Menschen» schwärmende Science-Fiction-Literatur einen Schwerpunkt bildet. Der «Witz» ist allerdings, dass, was dort noch Zukunftsmusik war, längst Realität geworden ist. Ob wir uns in einer modernen Ambulanz den Mechanismen der Sortierung und Abfertigung unterwerfen, ob wir uns für unser Alter mit dem Gedanken an Pflegeroboter auseinandersetzen, ob der Tier- die Menschenzüchtung folgt – stets bewegen wir uns in einem System mit den Merkmalen: «extreme Individualisierung, systematische Datenerhebung, Verrechnung mit Durchschnittswerten, vor allem aber ein System, welches sich der Befriedigung von Bedürfnissen verdankt».

Wahlfreiheit und Steuerung

Derartige technische Organisationsformen des Lebens produzieren einen Fetischismus. Während dem Lebendigen durch die Zerlegung in Teilfunktionen und die permanente Steuerung jede Selbstorganisation verloren geht, erwacht die Maschine zum Leben. Die Computer bilden die Hirne, welche die der Lebewesen ersetzen. Durch die detaillierte Beschreibung der Produktions- und Reproduktionstechnologien hindurch lässt Kathan eine Theorie der heutigen Gesellschaft aufscheinen. Er nennt sie die «optionale Gesellschaft», weil sie das Versprechen endloser Wahl- und Bewegungsfreiheit in einer umfassenden Steuerung fesselt. Bezüge zu Max Webers Theorie rationaler Herrschaft sind ebenso ausgesprochen wie zu Sigfried Giedions Theorie der Mechanisierung des Lebens. Die in diesem Buch vorgeführte Analyse moderner Herrschaft ist jedoch nicht technizistisch. Zwar stellt sie gewiss für Enthusiasten der Automation eine Herausforderung dar, weil sie Hoffnungen auf eine «Neutralität der Technik» zerschlägt. Aber sie behauptet nie Wirkungen der Apparaturen als solcher, sondern betont durchgehend den Zeichencharakter technischer Arrangements.

Wieland Elfferding in: Neue Züricher Zeitung vom 2.6.2010
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Das Glück im Laufstall: eine Viecherei - Bernhard Kathans Buch «Schöne neue Kuhstallwelt»

Bernhard Kathan ist in Fraxern aufgewachsen und lebt in Innsbruck. An sich ist es ein in Vorarlberg bis zur Lächerlichkeit strapaziertes Ritual, auf die heimischen Wurzeln von Landessöhnen zu verweisen, die der Mutter- oder Vaterschaft des Landes aus gutem Grund Ade gesagt haben. Bei Bernhard Kathan ist der Hinweis trotzdem nötig. Denn Kindheit und Jugend in einer kleinbäuerlichen Umgebung haben ihn zu dem Thema geführt, das seine künstlerische und kulturhistorische Arbeit maßgeblich bestimmt: das Mensch-Tier-Verhältnis und die Technisierung des Umgangs mit allem Lebendigen. Dazu hat er genau beobachtende Ausstellungen gestaltet, er betreibt ein virtuelles Museum (www.hiddenmuseum.net), und seine inzwischen zahlreichen Publikationen nehmen das Thema „Technik und Organ“ immer mit unerwarteten Verbindungen zu dem, was die Gesellschaft darüber phantasiert, in Angriff. Diese Phantasie tritt uns nicht nur banal in Werbeprospekten von Melkmaschinen- und Laufstallanbietern entgegen, sondern immer auch in der Literatur. In Kathans neuem Buch sind das - neben vielen anderen - Marquis de Sade, Frank Wedekind, Emile Zola, Max Brod, Franz Werfel oder Margaret Atwood.

Zertrümmerung von Konsumentenphantasien

Der Umgang mit dem Lebenden in der Landwirtschaft ist ein Spiegelbild des Umgangs mit Menschen, oder jedenfalls eine Parabel darauf. Moderne Kuhställe, so Kathan, lassen sich mühelos als Modell künftiger totalitärer Herrschaft denken. Denn modernes Herdenmanagement bedient sich - beim Menschen wie bei der Kuh - der Verhaltensdispositionen jener, die es zu kontrollieren gilt: Brachiale Gewalt ist, auch im Kuhstall, langsam passé; statt Anbindehaltung gibt es leistungsmaximierende Freiheit - computergesteuert im Laufstall.
Während bei der Fleischkuh der Lebensabend mit dem Verwertungszweck absehbar ist, ranken sich um die milchspendende Kuh immer noch Konsumentenphantasien von Harmonie und Natürlichkeit, kräftig gefördert durch das Image der glücklichen Kuh auf der Alm. Diese Phantasie ist nach der Lektüre von Kathans Buch gründlich zertrümmert. Denn die Hochleistungskuh ist nach wenigen Laktationsperioden (das heißt zwei bis vier Kalbungen) reif für den Schlachthof, da sie im Gegensatz zu ihren Vorfahrinnen, die es noch auf zehn oder zwölf Kälber gebracht haben, die Fortpflanzung schlicht einstellt oder Gebrechen der Gehwerkzeuge, des Kreislaufes und des Immunsystems aufweist. Das sei, so sagen hochleistungsbewusste Praktiker, lediglich ein Problem des „Managements“ und durch entsprechende Fütterung und medikamentöse Betreuung locker in den Griff zu bekommen. Das stimmte zwar bisher nicht - doch ein Ausweg ist in Sicht. Und dieser Ausweg für die Kuh ist ein durch und durch menschlicher: die Steuerung durch Elektronik.
Parallelität von Kuh- und Menschenmanagement
Damit ist Bernhard Kathan bei seinem Thema - der Parallelität von Kuh- und Menschenmanagement. Denn mit elektronischen Chips lässt sich, so versprechen das zumindest die Hersteller, die Kuh im Freilaufbetrieb bei der Nahrungsaufnahme so steuern, dass sie genau die jeweils für ihren Kreislauf erforderliche Mischung von Grund- und Kraftfutter, entsprechend der laufenden Analyse ihrer Stoffwechselprodukte Milch und Fäkalien, aufnimmt und sich folglich stets sauber „im Gleichgewicht“ befindet. Das ist der Idealzustand für den heutigen Hochleistungsbauern, und dieser Zustand wird von der modernen Kuh zudem noch ganz freiwillig hergestellt. Sie tut, was sie soll, weil sie es gerne tut.
Nicht anders funktioniert der ideale Konsument in der neoliberalen Wirtschaftstheorie und in der Praxis der elektronischen Kundenprofile: Jedes Angebot schafft sich seine Nachfrage, alles ist im Gleichgewicht und der neoliberal verfasste Mensch erzielt als lohnbeziehender Produzent ebenso als lohnausgebender Konsument ein Optimum der Befriedigung. Dass der Markt oder der Mensch aus diesem Gleichgewicht geraten könnte, ist nicht vorgesehen. Wenn es doch passiert, dann muss eben die Steuerung verbessert werden. Bernhard Kathans Buch hält also eine betrübliche Einsicht bereit: Die wirklichen Rindviecher sind wir.

Kurt Greussing in: Kultur Nr. 72
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Helmut Höge in: junge Welt, 5.8.2009
Beilage Land & Wirtschaft: PDF-Datei

Foucault im Mist

Wenn es um die schlechten Bedingungen der Nutztierhaltung geht, konzentriert sich die öffentliche Debatte seit Jahrzehntenauf die Haltung von Ge&Mac223;ügel. So spricht man beispielsweise von »Hühner-KZs«, um die Verhältnisse auf denGe&Mac223;ügelfarmen anzuprangern. Ein Kuhstall dagegen ist bis heute ein Kuhstall, hier also scheint die Welt noch einigermaßenin Ordung zu sein. Umso interessanter ist das Material, das der österreichische Künstler und Kunsthistoriker BernhardKathan in seinem Buch »Schöne neue Kuhstallwelt« zusammengetragen hat. Zwar ist die Gewalt in den vollautomatisiertenRinderställen eine andere als die auf den Ge&Mac223;ügelfarmen; sie ist weitgehend unsichtbar und liefert auch keine spektakulärenMedienbilder; aber sie existiert, jedenfalls dann, wenn man einen strukturellen Gewalt-Begriff zugrundelegt undHerdenmanagement, Melksysteme, Schleusentechnik, Futterautomaten und Elektrozäune mit den Augen eines Huxley oderFoucault betrachtet.
Bernhard Kathan geht so weit zu sagen, dass der Kuhstall von heute das kulturelle Herrschaftsmodell für ef&Mac222;zientesHerdenmanagement abgibt, wie es dann auf die Abläufe in Krankenhäusern, Altenheimen und Universitäten übertragenwird. Ohne die Erfahrungswerte aus der modernen Rinderhaltung sei die heutige Reproduktionsmedizin nicht möglich. Mankann diese These ein wenig zu steil und den Doku-Essay dennoch großartig &Mac222;nden. Hier wird die ansonsten gerne um sichselbst kreisende Kontrollgesellschafts-Debatte durch sehr genau beobachtetes und recherchiertes Material bereichert.

Heike Karen Runge in: jungle-world, 7.9.2009
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