Martin Schmitz Verlag

Ärger machen, Ärger machen
Teddybären im Gefängnis und die DDR in der sechsten Dimension: Mit seinen neuartigen »Schülertheaterstücken« greift Brezel Göring den Bildungskanon an.

Die Mittelklasse hat es schwer. Unten drückt die Arbeiterklasse, oben peitscht die Bourgeosie, weshalb man dort gern den Autoritarismus bis hin zum Faschismus fördert. Die Mittelstufe erscheint politisch weniger problematisch, aber psychologisch betrachtet noch konfuser. Schüler in der Mittelstufe fühlen sich im Allgemeinen zu dick, zu dünn, zu groß, zu blöd, zu klein, zu ängstlich, zu häßlich, zu verkannt oder alles auf einmal; während in ihren Jugendzimmern Internet, Playstation und deutscher Hip-Hop laufen (gleichzeitig).
Der Rockmusiker Brezel Göring kann weder der Mittelklasse noch der Mittelstufe helfen, aber er vermag deren Probleme in Beziehung zu setzen, in dem er sie zu sehr unterhaltsam und phantasievoll gestalteten Minidramen verarbeitet hat. Originalität und Unterhaltung sind ja für Mittelklasse und Mittelstufe das Allerwichtigste. Im stets sehr munter gehaltenen Programm des Martin Schmitz Verlags hat Göring nun seine neuartigen »Schülertheaterstücke« vorgelegt, unter dem aus freudomarxistiscner Perspektive geradezu genialen Titel »Unbehagen in der Mittelstufe«. In der Schule als »ideologischem Staatsapparat« (Althusser) ist die Mittelstufe der Abschnitt, in dem die letzten Reste kindlicher Absolutheitsansprüche (aus der Unterstufe) ausgetrieben werden sollen, um die Schüler auf Verzicht und Karrierismus einzuschwören, die Normen der anschließenden Oberstufe bzw. der Berufsausbildung.
Göring versammelt zehn Stücke in einem schmalen Buch, das auf den ersten Blick wie eins dieser Reclam-Bändchen anmutet und auch preislich nicht allzu weit davon entfernt ist. Es »kostet weniger als ein Gramm Haschisch«, wird stolz auf dem Buchrücken angemerkt. Ein solches Bekenntnis zur gebräuchlichen Schul-Lektüren-Ästhetik zeugt gleichermaßen von ironischer Distanzierung wie von marktstrategischer Überlegung: Es wäre äußerst wünschenswert, dieses »Unbehagen in der Mittelstufe« in Buchhandlungen künftig im selben Regal zu finden, in dem sich auch die Reclam-Ausgaben für das zwanghafte Fortschreiben des bundesdeutschen Bildungskanons befinden. Denn in Görings »Schülertheaterstücken« geht es nämlich nicht um vermeintlich zeitlose Tugenden wie »Demut«, »Tüchtigkeit« oder »Anstand«, sondern um den Bildungskanon selbst, um dessen Bigotterie in einer überkommenen bürgerlichen Gesellschaft.
Hierzu setzt Göring auf großen Quatsch. Seine minimalistischen Stücke handeln davon, wie Drogensüchtige als kosmische Kuriere in der »sechsten Dimension« eine »Wiedervereinigte Deutsche Demokratische Republik« betreten, in der die elf »alten Bundesländer« an den ökonomisch überlegenen Osten angeschlossen wurden (im Stück »Finger weg von harten Drogen«). Oder von einem alten und einen jungen Teddybär hinter Gittern, die in Mülltonnen auftreten, als wären sie in Becketts »Endspiel« arretiert worden (»Gefangene in Pelzen«). Es gibt einen Berlusconi, der zu »apathischem Jubel« zusammenhanglos daherjammert (»Wie die maßvollen Entscheidungen der europäischen Staatsoberhäupter den sozialen Frieden sichern«) und einen Friedrich II., der »das berühmte Postkartenmotiv Flötenkonzert in Sanssouci nachstellt« (»Friedrich II.: Die zarten Künstlerseelen im Blutrausch«).
Göring behauptet, »mit diesem Buch habe ich schreiben gelernt«, weshalb er vorsichtshalber eine Literaturgattung gewählt habe, »der ich selbst nur wenig Bedeutung beimesse - Theater für Kinder und Jugendliche«. Er glaubt, »daß meine Aussagen durch die Primitivität des Mediums an Wucht und Durchschlagskraft gewinnen«. Das kann er laut sagen, denn so wie er mit Françoise Cactus in der Zweipersonen-Band Stereo Total eine eigenständige Form des Trash-Glam-Rock geschaffen hat, überzeugen seine »Schülertheaterstücke« durch ihre überaus feinsinnige Drastik und punktgenaue Gesellschaftskritik. Sie erinnern etwas an Schlingensief oder auch Pollesch, sind aber viel besser strukturiert und damit wirkmächtiger. Göring adressiert sie eben nicht an Erwachsene, die ja alles irgendwie schon mal zumindest theoretisch erlebt haben, sondern an pubertierende Jugendliche, die sich ihr Leben erfinden müssen, vorausgesetzt, sie wollen sich nicht alles bieten lassen.
Im Stück »Traumberuf Trinker« verkündet die einzige Hauptfigur: »Das Leben in Kneipen rüstet den Menschen mit ungewöhnlichen Fähigkeiten aus - allerdings wird der Lebenswille auf das Ärgste unterminiert«. In den Gesichtern seiner Mittrinkenden kann der Trinker, vorgestellt als »schizoider Einzelgänger«, erkennen, »das ihnen unentwegt die Worte ,Ärgermachen, Ärgermachen‘ im Kopf rasseln«. Und das ist ein sehr guter Ansatz, liebe Kinder und Jugendliche, mit den Stücken von Brezel Göring auf Klassenfesten, im Schullandheim und natürlich in der Theater-AG zu reüssieren.

Christof Meueler in: junge Welt vom 5.12.2012
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Brezel Göring, besser bekannt als eine Hälfte von Stereo Total. In „Unbehagen in der Mittelstufe“ versucht sich Brezel als Schreiberling mit ähnlich groteskem Humor. Die Stücke sind allesamt kurz und - wenn auch wahrscheinlich nicht dafür gedacht - würden sie sich tatsächlich auch aufgeführt gut machen. Die DDR hat in einem Paralelluniversum die BRD annektiert und ein linkes Pärchen entführt Schlagersänger um der CDU Einhalt zu gebieten. Ganz nebenbei wird auch noch mit Shakespeare abgerechnet. Großartig!

Alva in Trust Nr. 158/01 Februar/März 2013