Heinz Emigholz - Das schwarze Schamquadrat
Das Buch ist ungewöhnlich aufgebaut. Tagebuchartige Eintragungen, mit Zeit- und (zumeist auch) Ortsangaben versehen, sind nicht-chronologisch, nach einem uneinsehbaren Muster zusammengestellt. Auf diese Weise erfährt jedes einzelne Textfragment eine Autonomie, die es seinen Nachbarn ebenbürtig macht. Und das, obwohl jede Eintragung scheinbar einem anderen Genre angehört: Filmbeschreibungen und -analysen wechseln mit essayartigen Reflexionen zur Melancholie, zur Narration oder zur Kriegsfotografie etwa, werden von Zeitdiagnosen, autobiografischen Splittern, literarischen Phantasien flankiert. Dazwischen eingeschoben befinden sich Zeichnungen und Faksimiles von Notizheften. Diese Heterogenität wird jedoch mit der fortschreitenden Lektüre aufgehoben. Denn Quelle aller Texte (und selbstverständlich auch der Zeichnungen) sind: die Augen. Hier berichtet, erklärt, dokumentiert, erzählt, erfindet, kritisiert ein »Augenmensch«. »Wir sind die wandelnden Archive der Bilder unserer Augen und formen mit ihnen den Rahmens eines Lebens.« Der Leser/die Leserin wird mitgerissen in den hoch produktiven Schwindel einer Bilder-Existenz. Hitchcocks »Vertigo« findet mehrfach Erwähnung. Dem Schwindel liegt die Erfahrung des Reisens zugrunde. Zunächst die des wie besessen Reisenden zu Drehorten, Filmfestivals, Städten, Wüsten. Im Weiteren lassen sich die Beobachtungen selbst wie Reisen durch Filme, Leben und Texte begreifen. Eine überbordende Empirie aus unterschiedlichen Wirklichkeiten. Ein subjektiver Dokumentarismus, »eine qua Vertrag von der Menschheit ausgehaltene Kameraperson, die für den Rest ihrer Lebenszeit dafür bezahlt wird, ihre Blickresultate zur freien Verfügung zu stellen. Copyright an Inhalt und Form des Gesehenen und des Sehens: Alle Menschen.«
Das Buch ist in eine Topographie eingelassen, die das Denken selbst mit hervorruft. So viele Orte, so viele Gedanken. Und Medium der Gedanken an einem spezifischen Ort ist die Kinematografie. Bereits in dem vorherigen Buch Normalsatz, eine Art Archäologie seiner 17 Filme, hatte Emigholz festgehalten: »Es geht um ein Bewußtsein, das Räume und Orte selbst erzeugen können - jenseits ihrer Funktionalisierung oder Dramatisierung. Jeder Gedanke entspringt einem Ort, einer bestimmten Kreuzung von Ort und Zeit, die in einem filmischen Bild gestaltet werden kann. Konzentrierte kinematografische Aufnahmen werden zum Medium der Existenz dieser Gedanken.« Das Schwarze Schamquadrat schließt direkt an diese These zu Beginn an: »Die Überzeugung bleibt, daß die einzig mitzuteilende Sicherheit über einen Gedanken die ist, daß ihn die Sprache zu einer bestimmten Zeit an einem bestimmten Ort formulierte, oder besser, daß ein Ort ihn zu einer gegebenen Zeit in der Sprache hervorrief.« Vielleicht ist es diese reflexive Ortskunde, die die Bereitschaft des Lesers/der Leserin erhöht, immer weiter und tiefer in den künstlerischen Solipsismus von Heinz Emigholz einzudringen. Kaum ein Gedanke, eine Formulierung, die nicht von diesem »Ich« durchdrungen wäre, das die Welt, für die es einsteht, der Gefolgschaft vermittelt. Und das ist wohl auch der Beginn einer aufregenden Reise zu den Voraussetzungen, die der künstlerischen Produktion vorgelagert sind. Diese steht »im Glanze eines fürderhin zu wahrenden Stils persönlicher Vorlieben, Idiosynkrasien und Eklektizismen«.
Ein Beispiel für die enorme Verdichtungskraft der Topografle Emigholz': LOS ANGELES, 24. April 1998. Zunächst eine allgemeine Notiz zu Filmen als »imaginäre Architekturen in der Zeit«, es folgt eine Kritik des Getty Center von Richard Meier, dann skizziert Emigholz die Beziehung von Josef von Sternberg zu Richard Neutra, der für Sternberg im San Fernando Valley eine Villa baute, dieser verkaufte jedoch das Haus (»lt reflected me too much«) an Ayn Rand, die Autorin des Romans Fountainhead, eine Geschichte um den Kampf eines »modernen« Architekten gegen das konservative Lager, der Roman wird von King Vidor veffllmt, mit Gary Cooper in der Hauptrolle, nach einem Seitenhieb auf das Amerika-Buch von Erich Mendelsolin wird der Film eingehend analysiert und mündet in eine Beschwörung einer der Ahnen der amerikanischen Architektur, Louis H. Sullivan, dieser hatte die Formel »Form follows function« geprägt, und Emigholz setzt alles dran, Sullivan gegen die Vereinnahmungen durch den Reinheit-der-Zweckform-»Kalauer« der Gropius Gruppe zu retten. Mit diesem atemlosen, collageartigen Schreiben eröffnet Emigholz Zugänge und Zusammenhänge, die ein lineares Erzählen so nicht zu vermitteln erlaubte. Es erinnert an das assoziative Schreiben Klaus Theweleits, aber auch an die Überlagerungsstrategien der Popautoren. Und dennoch bleibt es ein originales Stück Literatur, eines derjenigen, die unsere fragmentierte Welt noch zu lesen erlauben."
”Windtalkers - Film is a battleground ... John Woo hat es in den Pazifikkrieg gezogen, er hat von den Materialschlachten dort erzählt. Von dem Rückzug, den man praktiziert, ins eigene Ich, eine persönliche Poesie. Der Krieg, schreibt Heinz Emigholz in seinem bemerkenswerten Filmbuch ”Das schwarze Schamquadrat” (Martin Schmitz Verlag, Berlin), ”erforscht wissenschaftlich experimentell alle Bedingungen des Lebens, um sie so langfristig wie möglich zu zerstören.” Verlust und Identifikation, Leben und Kampf, Verstummen und Aggressivität John Woos ”Windtalkers” war ein schrecklicher Misserfolg, aber eine starke Studie zur Funktion der Niederlage in der amerikanischen Gesellschaft.”
”Ich empfehle ”Das schwarze Schamquadrat” von Heinz Emigholz. In 120 Filmnotizen gräbt der Autor und Regisseur die gesamte Filmgeschichte um (samt Medien- /Bildtheorien) und mit seinem nicht chronologischen Journal das Nervensystem der Gegenwart, sich selbst und die letzten Geheimnisse der Republik. Dies in einer Gedanken- und Sprachverdichtung, die nur jemandem möglich ist, der sein künstlerisch-geistiges Tun nicht als Beschäftigung versteht, sondern als Arbeit, das heißt als Widerstand.”
Auf zum Film! Medientheorie und Bauchschmerzen, Heinz Emigholz kompiliert
”Auf der Berlinale ist ein neuer Film von Heinz Emigholz zu sehen, Goff in der Wüste, eine Reise zu den Bauten des amerikanischen Bauhaus-Antipoden Bruce Goff (1904-1982), Teil 8 eines auf insgesamt 25 Teile angelegten Projekts, an dem Emigholz unter dem Titel Photographie und jenseits arbeitet; die englische Übersetzung Photography and beyond entbehrt der metaphysischen Konnotationen, die der deutsche Titel mit sich führt. Parallel zu dieser Unternehmung geradezu enzyklopädischen Ausmaßes ist im Verlag Martin Schmitz die kommentierte Filmographie Normalsatz (s. scheinschlag 11/01) erschienen, auf die nun Das schwarze Schamquadrat gefolgt ist, das auch einen Index aller bisher erschienenen Bücher von Emigholz enthält.
Der Buchtitel schließt die Anspielung auf eine Ikone der modernen Abstraktion, Kasimir Malewitschs schwarzes Quadrat, das einen Nullpunkt vor bzw. jenseits der ”Verwicklungen der Wirklichkeit" (Malewitsch) markiert, kurz mit einem Verweis auf eben das Private, Konkrete, welches diese Kunst aus ihrer Sphäre auszusperren sucht - eine Verdrängungsleistung der Moderne, wie wir wissen, der die Gegenreaktionen auf dem Fuß gefolgt sind. In der im ”schwarzen Schamquadrat" zu einem sprachlichen Bild gebündelten polaren Spannung bewegt sich auch Emigholz' filmisches Oeuvre, von den Anfängen in den siebziger Jahren bis heute: Auf eine strukturelle Phase, zu der Schenec-Tady I-III zählen, folgten in den Achtzigern die ”experimentellen Spielfilme", etwa Die Wiese der Sachen, in denen Texten und Schauspielerei wieder Rechte eingeräumt werden. In den Filmen aus Photographie und jenseits, etwa dem Film über Sullivans Banken (2001), kommt es dann wiederum zu einer Konzentration und Reduktion der Mittel - kommentarlos, ganz auf den analytischen Kamerablick vertrauend, erkundet Emigholz die in der Provinz des Midwest verstreuten Bauten; der Strassenverkehr rauscht dazu in Dolby Stereo. Diese jüngsten Arbeiten von Heinz Emigholz sind nicht zuletzt ein emphatisches Bekenntnis zu kraftvollen Kinobildern (35 mm), die dem Flimmern und Rauschen von Video, Fernsehen und Netz entgegengestellt werden.
Emigholz schneidet im schwarzen Schamquadrat die unterschiedlichsten Text- und Bildsorten gegeneinander: Da sind in ihrer Chronologie durcheinandergewirbelte, tagebuchartige Aufzeichnungen, von einer Beschreibung seiner Geburt (”Achim, 22. Januar 1948") über Reflexionen depressiver Phasen (”Ich werde immer fetter und weiß nicht von was, ich esse fast nichts. Wahrscheinlich eine radikale Umsortierung von Lebensenergie in Fett.") bis hin zu Reise- und Lektüreeindrücken. Diesen Notaten korrespondieren Schnappschüsse privater Art. Das Buch versammelt aber auch graphische Arbeiten, faksimilierte Notizbücher, Interviews, fiktionale und theoretische Texte. Wir erfahren: ”Die Entfernung der Tätowierung DIE PHILOSOPHEN HABEN DIE WELT NUR INTERPRETIERT ES KOMMT ABER DARAUF AN SIE ZU VERÄNDERN von meinem Unterarm kurz vor meiner Flucht in die USA im August 1974 war sehr kostspielig und hinterließ wetterfühlige Narben" oder sehen Emigholz zusammen mit Scharlatan Joseph Vilsmaier auf einer Münchener Premierenfeier. Einen wichtigen Strang bilden Texte, die Emigholz zu einer Filmreihe verfaßte, die von 1993 bis 2000 in 122 Teilen im Kino Arsenal lief und eine fruchtbare Brücke von seinem Lehrstuhl für experimentelle Filmgestaltung in eine interessierte Öffentlichkeit bildete. Er zeigte und kommentierte dort die für ihn wesentlichen Filme von Carl Theodor Dreyer bis Kurt Kren. Gerade in ihrer fragmentarischen Unabgeschlossenheit, mit der Emigholz seinen enzyklopädischen und theoretischen Anspruch wirkungsvoll bricht, ist dieses Kompendium höchst anregend - zum Denken über Film als Kunst, zu Beginn dieses Jahrhunderts mehr denn je marginalisiert.” Also, auf zum Film", zitiert Emigholz an einer Stelle aus einer vor einem Jahr in Hamburg gehaltenen Rede, ”bei dessen Produktion wirkliches Geld eine Rolle spielt. Nur Pech, daß die Sphäre, die sich jedenfalls in diesem Land verwaltungs-, lehr- und förderungstechnisch um Film kümmert, gerade dabei ist, sich jeden Rest von Kunst in ihren Rängen zu verbitten, um die heimisch gewachsene Karikatur des Geschäftslebens zeugenfrei über die Runden zu retten." Auch diesmal werden wir wieder auf der Berlinale Politiker von den Exportchancen des ”deutschen Films" schwadronieren hören.”
Der Grabstein von Malewitsch
”Heinz Emigholz stellt sich in seinem Tagebuch "Das Schwarze Schamquadrat" eine Welt vor, in der "Worte noch etwas bedeuten". Entstanden ist so ein Textcontainer, in dem Filmbeschreibungen neben Zeichnungen und Fotos stehen und theoretische Reflexionen neben autobiografischen Betrachtungen.
Wer Heinz Emigholz Filme "The Basis of Make-Up", Teil I und II, kennt, wird mit der Gattung des Tagebuchs bei Emigholz soweit vertraut sein, wie die sein systematisches Durchblättern seiner handgeschriebenen und illustrierten Notizbücher zulässt. Als abstraktes Daumenkino bewegen sich Schrift und Bilder auf den wie von Geisterhand umgeblätterten Tagebuchseiten vor den Augen des Betrachters hin und her, springen die Zeichnungen auf und ab. Selten erfasst das Auge die ganze Seite, nie holt es seinen Gegenstand ganz ein. "Die Tür wird auf- und sofort wieder zugemacht, die Paradoxie des Films auf die Spitze getrieben, dass man etwas bekommt, was einem sofort wiedergenommen wird" (Emigholz).
Nun liegt Emigholz neues Buch "Das schwarze Schamquadrat" vor, das sich in mindestens einem entscheidenden Punkt von den gefilmten Tagebüchern unterscheidet: Es durchbricht die Strenge der Linearität, mit der die Hefte in den Filmen von vorn nach hinten durchgeblättert werden und erscheint stattdessen in Form eines "achronologischen Tagebuchs". So richtig gut gefalle ihm sein "Schwarzes Schamquadrat" erst, seitdem er darin nichts mehr wiederfinde, so Emigholz bei der Vorstellung des Buches.
Doch gegen das ausufernde Chaos kommt dem Künstler - wie dem Leser - ein vorbildlicher Index zur Hilfe, der alle vier bisher im Martin Schmitz Verlag erschienenen Publikationen von Heinz Emigholz miteinander verbindet.
Sein neuestes Buch, bereits vor gut zehn Jahren mit der Beschreibung "Erzählungen und Essays: Film und Atmen, das beleidigte Kind, Einsamkeit und Politik, zur Phänomenologie des Spazierengehens, Photographie und jenseits, Stalingrad, Versunkenheit und der Grabstein von Malewitsch" angekündigt, zeichnet sich durch eine verwirrende Vielschichtigkeit der Text- und Bildangebote aus und verweist damit darauf, dass das Denken sich nicht zerstückeln lasse, sondern "in Echtzeit auf allen Ebenen gleichzeitig" stattfinde.
So finden sich dort neben knappen, konzentrierten Filmbeschreibungen, insbesondere denjenigen, die begleitend zu einer Experimentalfilmreihe seit 1993 im Arsenalkino-Programm (Berlin) veröffentlicht wurden, Texte zu Emigholz eigenen Arbeiten, theoretische Reflexionen über Kunst und Film, Autobiografisches, Interviewauszüge und Fiktionales, durchsetzt von Schwarz-Weiß-Zeichnungen und Fotos.
Die ungefähre Mitte bildet nicht, wie ursprünglich geplant, ein Aufsatz über den russischen Künstler Kasimir Malewitsch, der 1915 mit seinem "Schwarzen Quadrat auf weißem Grund" eine neue Kunstrichtung - den Suprematismus - ausrief, um alle bis dahin in der Kunst gängigen "Ismen" an ihr Ende zu führen.
Ironischerweise fiel ausgerechnet dieser Essay einem Festplattenabsturz zum Opfer. An seine Stelle gerückt ist das dem Festplattenabsturz nahe kommende faksimilierte Tagebuch Nr. 66, das "vom 7. Mai bis 3. September 1988 an neunzig Tagen in Hamburg, siebenundzwanzig Tagen in Berlin, sechs Tagen in Dänemark und einem Tag in Düsseldorf geschrieben und am 3. September in Dänemark verbrannt worden" ist.
Das "Schwarze Schamquadrat" stellt in Form eines Textcontainers die "interne Zerrüttung der körpereigenen Zeit- und Ortswahrnehmung" dar, "die man mit den Begriffen Depression und Melancholie belegt".
Gerade diese für das Medium Film konstitutiven Kategorien - Zeit und Raum - hat Heinz Emigholz immer wieder radikal in Frage gestellt. Etwa im Ende der Siebzigerjahre entstandenen Film "Normalsatz". So wie dort aus den realen Städten Brooklyn und Hamburg der imaginierte Ort "Brookburg" entsteht und die räumliche Distanz zusammenschmelzen lässt, wird auch die Zeitstruktur durch Sprünge im Raum und eine auf Schuss/Gegenschuss verzichtende Schnitttechnik außer Kraft gesetzt.
Hinzu kommt eine Sprachskepsis, die Emigholz im "Schwarzen Schamquadrat" weitgehend revidiert. Wörter und Sätze erscheinen in "Normalsatz" noch als zertrümmerte und isolierte Ausdrucksformen, die allenfalls in ihrer Wiederholung einen Sinn anzudeuten vermögen - die Darsteller stolpern über einen Satz und stoßen auf ein Wort. Während die Sprache hier - den Gedichten Mallarmés verwandt - als referenzloses System existiert, schwebt Emigholz in seinem neuen Buch eine Welt vor, "in der Worte noch etwas bedeuten, in der die Sprache ein Lebenselexier geblieben ist".
Nicht zuletzt mit der Unterbrechung der gesetzmäßigen Kombination von Sprache und Bild deckt Emigholz in seinem früheren Werk die Übermächtigkeit der Sprache gegenüber dem Bild auf. Als Antwort auf die gegenwärtige Bilderflut wendet sich Emigholz nun von seiner Skepsis gegenüber der Sprache ab. Die Kritik richtet sich jetzt vor allem gegen das unhinterfragte Zitieren ehemals experimenteller Ausdrucksmittel und gegen ihre Aneignung und Nutzbarmachung durch den offiziellen Kunstbetrieb oder durch die Werbemaschinerie.
Wer bei der Lektüre des "Schwarzen Schamquadrats" trotz der alltäglichen Bilderflut einen Hunger nach Bildern verspürt, kann ihn in der noch bis zum 27. April in der Deutschen Guggenheim Berlin laufenden Malewitsch-Ausstellung stillen. Dort ist neben anderen Werken aus Malewitschs abstrakter Phase auch eines seiner legendären Schwarzen Quadrate zu sehen. Das Positiv zum depressiven Negativ - "Das Weiße Schamquadrat" - hat Emigholz bereits in Aussicht gestellt. Dort soll dann ein Aufsatz über Malewitsch erscheinen, der hier nicht nur im Titel und durch die Abbildung seines im zweiten Weltkrieg zerstörten Grabsteins Spuren hinterlassen hat.
Eines haben Malewitsch und Emigholz gemeinsam: Beide leisten auf höchst eigentümliche Weise Widerstand gegen die Einverleibung durch den zweckrational ausgerichteten Kulturbetrieb, indem sie an der Schaffung neuer Gattungen und Stile gearbeitet haben und arbeiten.”
"Kino, Depressionen und die Gründe für beides: Der Filmemacher, Autor und Künstler Heinz Emigholz vereint in seinen Essays und Notizen unter dem Titel DAS SCHWARZE SCHAMQUADRAT Filmgeschichte, Medientheorie, Autobiografie, Erzählungen und Zeichnung. Leidenschaftlich, präzise, arrogant - ein kleines Meisterwerk radikal individuellen Denkens."
Eine Utopie ohne Dramaturgie
Heinz Emigholz hat eine eigene Geschichte des Films verfasst
Durch acht Jahre hat Heinz Emigholz, als zu seiner Lehre an der Hochschule oder Universität der Künste gehörig, im Berliner Arsenal Filme gezeigt, 122 Vorstellungen, und hat für das Programmblatt dazu Notizen geschrieben P. Lorre, H. Frampton, N. Lvovsky, Vl. Kristl, A. Hitchcock, J.-L. Godard, B. Loden, St. Hayn, L. Buñuel, S. Fuller, St. Brakhage, R. Bresson, S. M. Eisenstein, J. v. Sternberg, E. v. Stroheim, H. Farocki, S. Nettelbeck, J. Cocteau, D. Sirk, H. Bitomsky und noch viele (J. Ford nicht, K. Mizoguchi nicht), und der einzigste: Carl Theodor Dreyer und jetzt, inkorporiert in dieses Buch, ergibt das nicht weniger als eine eigene fragmentarisch ganze „Geschichte des Films“ und eine, die die Filme erwartet haben seit Frieda Grafes Filmtips-Buch wissen sie, was möglich ist , eine Geschichte mit Gegenwart und Zukunft, denn Emigholz stellt um die Filme Gedankenräume her, aus Sprache gebaute Räume, die durch das Buch hindurch ein zersplitterter Gesamtraum sind, darin können die Filme sich frei bewegen, und können agieren. Das heißt, nur in solchen „Geschichten des Films“, die von den Filmen etwas erwarten, erhoffen, fordern, bleiben die Filme lebendig oder werden es wieder, das übrige Filmschreiben ist gegen die Filme gerichtet.
Weil für Heinz Emigholz die Filme so wirklich sind wie das wirkliche Leben, ist seine „Geschichte des Films“ eines der Bauelemente in diesem Buch, das es setzt seine früheren fort von diesem wirklichen Leben handelt.
Andere Elemente: im Unterwegssein wahrgenommene Orte, Unorte, Augenblicke; Bild- und andere Theorie-Entwürfe, die sofort erprobt werden; Protokolle von Träumen, Bewusstseinszuständen, Verstörungen; Momentaufnahmen aus dem Kulturbetrieb (dessen Regel es ist, den Tod der Ausnahme, der Kunst zu wollen, wie J.-L. Godard gezeigt hat); durchgängig der Scharfblick für die Koinzidenzen von Luxus und Müll; eine Abhandlung über Kamikaze und eine über Alkaloide; ein Gedenken für Philip K. Dick, eines für Frieda Grafe und ein Gespräch mit ihr das ergibt, in hoher Gedanken-und Sprachdichte und durch die nicht-chronologische Anordnung weiter verdichtet: ein Arbeitsjournal Emigholz disponiert seine Arbeiten langfristig, betreibt sie mit Stetigkeit über Jahre und ergibt: Erforschungen, kontinuierlich ebenso, des Nervensystems der Gegenwart. (…)
Heinz Emigholz - Normalsatz
Einsicht in die Unmöglichkeit der Repräsentation
”Wenn in Deutschland über Film diskutiert wird, dann wird meistens die Klage darüber angestimmt, daß deutsche Industriefilme im Ausland keine großen Absatzmärkte haben, die Kulturindustrie in anderen Ländern ist da einfach findiger. Man könnte sich nun fragen, warum sich ein Staatsminister für Kultur der Sache überhaupt annimmt, um die Placierung Heinos auf dem amerikanischen CD-Markt kümmert er sich ja auch nicht. Es ist aber einfach so: Daß es neben Spielfilmen, Krimis und Komödien auch so etwas wie eine ernstzunehmende Filmkunst gibt, ist nur wenigen bekannt, selbst die Filmhochschulen wollen davon nicht viel wissen.
Der Schauspieler Heinz Emigholz taucht in Machwerken wie Vilsmaiers Schlafes Bruder auf. Aber das ist wohl nur eine Marginale. Im Gespräch mit Hans Hurch berichtet Emigholz: ”Es fing damit an, daß ich mit ,Film' überhaupt nicht klargekommen bin. Die filmische Abbildung, der Realismus im Film, das, was die Zeit und Bewegung repräsentiert, hat mich als Betrachter nahezu verrückt gemacht.” Das Gespräch findet sich in dem neuen Buch Normalsatz, in dem das bisherige Filmschaffen von Emigholz, 17 Filme, in Texten, Kommentaren und Bildern dokumentiert wird - nebst einem Ausblick auf das laufende Projekt Photographie und jenseits, das den an der Hochschule der Künste lehrenden Filmemacher noch 25 Jahre beschäftigen wird. Der Verleger Martin Schmitz spricht zutreffend von einem ”Werkzeugkasten”; und in Anbetracht der gegenwärtigen Situation ist es auch nicht übertrieben, wenn Ronald Balczuweit in seiner Einleitung von einem ”filmpolitischen Kommentar zur Filmkultur in der heutigen Bundesrepublik” spricht. Ein Destillat aus Balczuweits Magisterarbeit ist der rote Faden durch Normalsatz; die 17 Filme werden der Reihe nach durchgenommen.
Vor dem Hintergrund seines Unbehagens in der Filmkultur war es nur folgerichtig, daß Emigholz Anfang der siebziger Jahre mit streng analytischen Versuchsanordnungen begann. In Schenec-Tady 1 etwa werden zwei horizontale Schwenks nach einem ausgeklügelten Konzept ineinander montiert. Emigholz ging es darum, zunächst einmal ”die Grundlage der Zeitrepräsentation durch die Analyse filmischer Bewegungen zu klären”. Emigholz machte sich in der ”experimentellen” Filmszene einen Namen. Mit Normalsatz(1978/81) kam dann das, was er als ”großen Bruch” mit dem ”Avantgarde-Film” bezeichnet. Narrative Elemente greifen Platz; Emigholz spricht vom Hineingehen in einen ”psychologischen Bereich”. Für Emigholz' Filme der achtziger Jahre hält die Kritik Etiketten wie ”experimenteller Spielfilm” und ”urbanes Erzählen” bereit. Mit dem aktuellen Projekt Photographie und jenseits, aus dem in diesem Jahr Sullivans Banken und Malliarts Brücken vorgestellt wurden, strebt Emigholz einen ”filmischen Ausdruck für die Objektivierung gedanklicher Vorstellungen” an.
Normalsatz ist ein äußerst anregender Werkzeugkasten, zudem ein Anstoß, darüber nachzudenken, was Film sein könnte, bzw. an den Rändern manchmal auch ist.”
Heinz Emigholz - Krieg der Augen, Kreuz der Sinne
”Heinz Emigholz ist einer der interessantesten Filmer, die dem Etikett ”Experimentalfilm” kaum etwas abgewinnen können, ja selbst dem Film als Bewußtseinsindustrie weniger zuzurechnen sind als vielmehr einem Bereich freier Artikulation, der in diesem Land ja zunehmend verstummt, stottert oder radebricht. Bei Emigholz klingen die Sätze noch flüssig, ohne hinwegzuschwimmen oder abgründige Strudel zu bilden. Er ist wie in den Filmen, wie in den Grafiken, der Künstler/Denker der Oberfläche. Aber einer Oberfläche, die, wie Vexierbilder, Ansichten der Raum- wie klassifikatorisches Erzählen begehrenden Schrift auf die Flächen ein exakt berechnetes Umkehrverhältnis spiegelt.”
Helmut Krebs in: filmwärts, Hannover, Juni 1993
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