Grün vor Neid
Zweimal Kreuzberg und zurück: Im Kunstverein Wolfsburg feiern die Brüder Max und Wolfgang Müller jetzt die erste Ausstellung in ihrer Heimatstadt
Der Traum eines jeden Provinzjungen: Nach Berlin ziehen, berühmt werden und dann in großem Triumphzug zu Hause einreiten. Die Spießer im Dorf mit dem Glanz geleisteter Großtaten ordentlich beeindrucken. Wir kennen diesen Traum alle.
Wolfgang Müller ist 1979 von Wolfsburg nach Berlin gezogen. Über die Jahrzehnte sedimentierte er zum innerstädtischen Urgestein, zum tragenden Pfeiler der Kreuzberger Waldemarstraße. Berühmt ist Müller auch noch. Als Mitglied des legendären Ex-Künstlertrios "Die tödliche Doris" und aktuell als real existierender Elfenbeauftragter.
Zwei documenta-Teilnehmer hat Wolfsburg über die Zeit hervorgebracht. Der eine ist ein in Vergessenheit geratener Maler. Der andere ist Wolfgang Müller. Nach über 25 Jahren wurde nun endlich eine Ausstellung in seiner Heimatstadt eingerichtet - für ihn und seinen Bruder Max, der Sänger der Berliner Band Mutter: "Welcome home Max und Wolfgang Müller", heißt es im Kunstverein Wolfsburg. Andere Provinzjungen werden da grün vor Neid.
Wolfgang Müller schwört trotzdem, dass er mit seinem Homecoming niemanden beeindrucken will. "Es fällt mir schwer, Heimatgefühle für Wolfsburg zu entwickeln", sagt er. Für diese graue Stadt, von den Nazis auf die grüne Wiese geklotzt. Der Vater schuftete am Fließband, der Sohn besuchte als eines der wenigen Arbeiterkinder das Ratsgymnasium. Durch eine Fünf in Sport wurde er dann rausgemobbt. Gründe, auf Wolfsburg sauer zu sein, gäbe es viele. "Die Stadt hat ihre Vergangenheit nie aufgearbeitet", sagt Müller.
Am Anfang der Ausstellung steht deshalb mit Absicht ein Hakenkreuz. Es prangt auf dem T-Shirt eines dreijährigen Jungen mit Punkfrisur. Eine Persiflage auf Sid Vicious, der im Hakenkreuz-T-Shirt durch Paris flanierte. An dem Super-8-Film "Das Leben des Sid Vicious" haben die Müller-Brüder zusammen gearbeitet. Der kleine Punker wurde dabei gefilmt, wie er rumsabbert und mit einer Kinderspritze spielt. Durch die perfide Schnitttechnik sah es so aus, als würde sich das Kind Heroin spritzen. Klar, dass der Film damals Punks und Spießbürger gleichermaßen auf die Palme brachte.
"Das Leben des Sid Vicious" blieb die einzige Koproduktion der Brüder. Auch in der Ausstellung sind die Beiträge säuberlich getrennt. Links hängen großformatige Zeichnungen von Max Müller. Kantige Kerle und föngewellte Frauen, der Zeichenstil schwankt zwischen Karikatur und a-has legendärem Musikvideo "Take on me". Dazu ein paar Bistrotische und sein Kurzgeschichtenband: "Musikcafé Wolfsburg". Als Ensemble ist die Installation kein großer Wurf, aber Max Müller, Jahrgang 1963, ist ja auch primär Musiker. Der Rest der Ausstellungsfläche wird dann von Wolfgang Müller locker gefüllt. Eine kleine Retrospektive: Seine Spickzettelsammlung, mit der er sich leider ohne Erfolg an der Braunschweiger Kunsthochschule bewarb. Die Hängelampe "Slip" mit dem Bezug aus Herrenunterwäsche. Oder auch die Flasche italienischer Tafelwein, in der Müller 1987 die Tödliche Doris auflöste.
Zu den frühen Arbeiten dieses Künstlertrios gehört "Material für die Nachkriegszeit". Das Werk besteht aus rekonstruierten Fotostreifen Unbekannter, die Müller und Nikolaus Utermöhlen aus den Abfallkörben von Passbildautomaten gefischt hatten. Klingt ein wenig nach "Die fabelhafte Welt der Amélie"? "Die Arbeit wurde 1982 in Paris gezeigt", sagt Müller. "Da hat sich der Regisseur Jean-Pierre Jeunet wohl inspirieren lassen."
Auch das ist typisch Müller. Er wirkt gerne an der eigenen Legendenbildung mit. Sein gesteigerter Mitteilungsdrang grenzt gelegentlich an Narzissmus. Das Schöne ist jedoch, dass er mit seinem Kommunikationsgeschick und seinem Sprachwitz stets für eine gute Sache in die Bresche springt. Für Elfen oder für die zu Unrecht der Kinderpornografie beschuldigte Häkelpuppe Wollita, für die er den B.Z.-Kulturpreis forderte. "Mich interessiert der blinde Fleck in unserer angeblich so aufgeklärten Gesellschaft", sagt Müller.
Zum künstlerischen Ergeiz des 49-Jährigen passt, dass er unbedingt noch eine neue Maltechnik entwickeln musste. "So wie Pollock das Dripping erfunden hat." In Wolfsburg zeigt Müller jetzt erstmalig seine neuen Tunkbilder. Dafür hat er Papier in ein mit Farbe gefülltes Gefäß getaucht, das entfernt an einen schmalen Briefkasten erinnert. "Dipping" nennt der Künstler seine Methode. Ein Bild wie ein Käsecracker.
Am Ende sind die Müller-Brüder wohlwollend in ihrer Heimatstadt empfangen worden: Mutter, Schwester, Tanten waren dem Vernehmen nach von der Ausstellung angetan. Nur paar Mitschüler sollen sich geärgert haben, weil Wolfgang Müller sie nicht mehr erkannt hat. "Typisch arroganter Großstadtkünstler." Aber auch das gehört zum Traum eines Provinzjungen.
Tim Ackermann in: taz, Berlin vom 28.3.2007
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