Anna und die ihren
Mit "Traum der Dinge" bilanziert Elfi Mikesch Kunst und Leben als faszinierende Symbiose
Elfi Mikesch zeichnete zwischen 1972 und 2004 für mehr als zwei Dutzend Filme als Kamerafrau verantwortlich, darunter für Arbeiten von Rosa von Praunheim, Werner Schroeter, Monika Treut, Peter Lilienthal, Lilly Grote, Heinz Emigholz und Harald Bergmann. Dreizehn Arbeiten inszenierte sie bislang als Regisseurin selbst. Seit 1982 fungierte sie regelmäßig als Lehrbeauftragte an Kunst- und Filmhochschulen. Daneben - soweit dieses Wort in diesem Kontext zulässig ist - arbeitete sie kontinuierlich als Fotografin, ihrem "eigentlichen" Beruf.
Mit herkömmlichen Maßstäben einer werkbiografischen Aufzählung ist dem Oeuvre Elfi Mikeschs aber nicht beizukommen. Stets durchdrangen sich die unterschiedlichen Bereiche ihrer künstlerischen Aktivitäten und bedingten einander wechselseitig. Wichtiger noch der Umstand, dass sämtliche beruflichen Artikulationen ihrer jeweiligen, ganz privaten Verortung entsprangen: Elfi Mikesch hat niemals einfach nur "ihren Job gemacht", verstand sich zu keinem Augenblick als Dienstleisterin der Medienbranche. Sämtliche Filme und Fotografien stellen vielmehr autobiografische Reflexionen dar, sind Spurensicherung eines von steter Unruhe und Neugierde geprägten Lebensweges.
Mit ihrem nun im Martin Schmitz Verlag erschienen Bild-Text-Band lässt sich dieser Weg nachvollziehen; die visuellen Spuren werden von mehreren textlichen Ebenen sekundiert. Sehr früh, noch während ihrer österreichischen Provinzkindheit in der Steiermark, findet Mikesch in Anna ihr literarisches Alter Ego. Anna fungiert als stellvertretende Protagonistin ihrer Traumarbeit in der dritten Person, beschwört den "Traum der Dinge". Daneben stehen Texte konkreterer Erinnerung, einzelne Interviewpassagen sowie ein filmografischer Anhang. In Verbindung mit den fast hundert brillanten Schwarzweißfotografien ergibt sich eine faszinierende Collage aus Menschen und Orten.
Dieses über dreißig Jahre spannende Beziehungsgeflecht zeigt vor allem die symbiotische Verbindung von Kunst und Leben, die Untrennbarkeit dessen, was Elfi Mikesch umtreibt und auf welche Weise sie das Erlebte sublimiert. Leben als Experiment, nicht als Vorwand für Beschäftigungsverhältnisse. Wichtige Wegbegleiter, Partner oder Kollegen wie Fritz Mikesch, Holger Mischwitzki alias Rosa von Praunheim, Magdalena Montezuma, Tabea Blumenschein oder Carola Regnier erscheinen regelmäßig als "Modelle" auf den hochwertig reproduzierten Fotografien, bezeugen vielfache Konstellationen innerhalb einer subkulturellen Szene, die sich stets abseits vom herrschenden Zeitgeist bewegt hat.
Mikeschs fotografischer Blick dokumentiert immer auch Kulturgeschichte, dies aus zärtlicher Perspektive. Werner Schroeter umschreibt in seinem klugen Vorwort treffend diese ganz eigene Ästhetik: "Elfi Mikeschs Auge ist vielleicht umwölkt wie das Auge von Luis Buñuel in ,Un Chien Andalou'. Aber ohne die Rasierklinge, die es zerschneidet."
Claus Loeser in: taz Nr. 7619 vom 19.3.2005
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Zauberhaftes im Flüchtigen
Elfi Mikesch hat eine Autobiographie geschrieben, die so poetisch ist, daß es eigentlich gar keine Autobiographie sein kann.
Frauen, die am Fließband arbeiten, sensible Spinner im U-Bahn-Rausch, ein Liebespaar im Altersheim - Elfi Mikeschs Dokumentarfilme handeln meistens von Menschen, die von der Außenwelt kaum wahrgenommen werden. Soziale Dramen also, betrachtet aus nächster Nähe und sehr behutsam in Szene gesetzt. Aber auch Bewusstseinszustände, wie Rausch, Ekstase oder Obsession bestimmen das filmische Werk der Berliner Künstlerin. Wenn Mikesch mit Form und Inhalt ihres Mediums experimentiert - und das tut sie sehr gern erschafft sie Bilderwelten, so surreal wie Träume selbst. Da das Geld meist knapp bemessen ist, macht Mikesch fast alles bei ihren Filmen allein, neben Kameraführung und Inszenierung, also auch Licht, Ausstattung, Maske und Kostüme. Rosa von Praunheim und Monika Treut schätzen ihr visuelles Talent und engagieren sie oft für ihre eigenen Filme. Diese beiden Regisseure sind auch ziemlich bekannt in der Bundesrepublik Deutschland. Elfi Mikesch leider nicht so sehr.
Im Martin Schmitz Verlag gibt es jetzt eine Autobiographie von Elfi Mikesch, die nächstes Jahr ihren 65. Geburtstag feiert. "Traum der Dinge" ist eine Collage aus Fotos, Gedichten, Träumen, Gesprächen, Tagebuchnotizen und Kurzgeschichten. Die sonst übliche Aneinanderreihung von Anekdoten aus Kindheit, Jugend und Erwachsenenleben entfällt hier komplett. Statt dessen: Poesie auf jeder Seite des Buches. Mikesch baut Stimmungen auf, die sie ihr Leben lang begleitet haben, glückliche, bezaubernde, traurige, rauschhafte, beunruhigende oder depressive. Egal ob sie träumt oder das Leben ganz bewußt wahrnimmt, immer ist ihre Sprache eine bilder und assoziationsreiche. Nähere Einblicke über das Leben der Künstlerin geben die Gespräche mit Rosa von Praunheim und Monika Treut. Man erfährt einiges über Kindheit und Jugend, verschiedenes über Liebe und Liebschaften, viel über Inspiration und Motivation ihrer Arbeit. "Ich bin von der Sehnsucht besessen, den Zauber, der hinter drei flüchtigen Augenblicken liegt, zu fassen", heißt es in einem ihrer Gedichte. Wie das Festhalten flüchtiger Augenblicke wirken ihre Fotos allerdings nicht. Glamourös gestylte Frauen, grell geschminkt und gekonnt in Pose gebracht, blicken lasziv, böse oder verzerrt in die Kamera. Elfi Mikesch liebt das Schräge. Auch in der Perspektive. Hübsche Fotos von ihren zahlreichen Künstlerfreunden sind auch mit dabei. Von ihr selbst leider nur ein einziges. Tolle Frau, außergewöhnliches Werk, schönes Buch.
Ina Bösecke in: diggla, Göttingen 12/2004
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Verrückt bleiben
Elfi Mikesch würde kein Auge aufschlitzen im Martin Schmitz Verlag ist ihr »Traum der Dinge« erschienen
Elfi Mikesch ist Fotografin, Kamerafrau und Filmemacherin. In den Fotos und Texten, die nun gesammelt vorliegen, erforscht sie ihren persönlichen, aber auch immer wieder mit anderen geteilten, »Traum der Dinge« so der Titel. Da Mikesch ihr Kameraauge so oft verliehen hat, erscheint es richtig, daß einige, für die sie gearbeitet hat, ihr etwas zurückerstatten, indem sie sie interviewen. Rosa von Praunheim und Monika Treut stellen Mikesch persönliche Fragen zu Leben und Arbeit. Zusammen mit ihren Fotos aus den Jahren 1967 bis 2003, den biographischen Skizzen und traumhaft-poetischen Texten ergibt das »eine Art Biographie«. Mikesch schildert Kindheitserinnerungen wunderbar eindringlich, geradezu in physischer Präzision. Manchmal ist es nur eine rätselhafte Einzelheit, die sie berührt: »In der Küche lag ein Kalbsauge ... Daneben die Rasierklinge.« Das ist ein filmisches Detail. Werner Schroeter, für den sie dabei zweimal mit dem Deutschen Kamerapreis ausgezeichnet gearbeitet hat, vergleicht denn auch in seinem Vorwort ihr Auge mit dem in Buñuels »Un chien andalou«. Nur nicht durchschnitten. Das heißt aber nicht, daß Mikesch sich scheuen würde, die Klinge anzusetzen im Gegenteil. Aber nicht am Auge.
Schwarze Höhle
Mit dem Film kam sie schon als Kind in Berührung, denn »mein Vater war seit 1952 Kinooperateur, und ich habe viele Filme aus seiner Vorführkabine gesehen«. Dann soll sie »etwas Anständiges lernen, damit ich nicht als Magd beim Bauern lande«. Eher zufällig landet sie beim Handwerk der Fotografie. Die Arbeitsbedingungen sind ganz archaisch, die Beschreibung ihrer Lehrlingszeit sind faszinierend. »Das Atelier war eine schwarze Höhle, die nach Kriegsbrand roch. Im Giftschrank fehlte das Zyankali. Ein Fotografengehilfe hatte sich damit umgebracht. Ein handkoloriertes Stilleben hing an der Wand. Der Glanz der alten Tage.« Wenn sie im Winter in den Keller hinuntersteigen muß, um Nachschub für die Öfen zu holen, fühlt sie, wie alt das Haus ist. »Sie hatte einen kleinen Film im Kopf, wie immer, wenn ihre Gedanken in den Spuk eintauchten.«
Von da ist es noch ein weiter Weg bis Mikesch ab 1976 eigene Filme realisieren wird. Vorher aber entdeckte sie ihre individuelle fotografische Ausdrucksweise, während sie die »Superstars« rund um Rosa von Praunheim aufnahm, Westberliner Underground, Darsteller ihrer selbst und einige dann auch in Filmen spielend, wie Tabea Blumenschein oder Magdalena Montezuma, deren an Man Ray erinnerndes Schwarz-Weiß-Foto den Umschlag ziert.
Schöne Augen
Es entstehen Fotoromane, einer erscheint 1968 als Buch »Oh Muvie«. Über diese Zeit sagt Mikesch: »Wichtig war nur, lebendig und verrückt zu sein.« »Verrückt bleiben, verliebt bleiben« (1997) heißt auch einer der anrührendsten Filme von Elfi Mikesch, wie so oft einer über Randgestalten. Der Titel entstand aus zwei Abwandlungen des Befehls »Zurückbleiben«, die die Hauptfigur des Dokumentarfilms vornimmt, wenn er seiner Leidenschaft, dem U-Bahnfahren nachgeht. Torsten Engelholz wurde als Kind in die Dunkelheit weggesperrt und verbrachte Jahre in der Psychiatrie. Wenn Engelholz nun, unkommentiert, über das spricht, was ihn sein grausames Leben gelehrt hat und seine schönen Augen dabei zeigen, daß er nicht gebrochen wurde, ist dieser Film eine Wiedergutmachung, die es doch eigentlich gar nicht geben kann.
Elfi Mikesch, die ihre Arbeit so oft in den Dienst von anderen gestellt hat, wird nun in »Traum der Dinge« selbst sichtbar.
Das umwölkte Auge
Ein Bilder- und Lesebuch von Elfi Mikesch
Ihre Fotos sind wahre Lichtgemälde. Träumerisch patinierte Schwarzweiß-Ästhetik schlägt einen stilistischen Bogen von den zwanziger Jahren in die experimentierfreudigen Sechziger. “Elfi Mikeschs Auge ist vielleicht umwölkt wie das Auge von Luis Buñuel in ,Un Chien andalou‘. Aber ohne die Rasierklinge, die es durchschneidet”, schreibt Werner Schroeter im Vorwort zum “Traum der Dinge”. Wenn die expressionistische Grundhaltung in surreale Randzonen kippt, darf man überdies an die Filmsprache des frühen Andy Warhol oder an das Living Theatre denken. Derlei Einflüsse kommen auch in dem umfangreichen Textteil zur Sprache. Damit wird der “Traum der Dinge” zu einem kulturhistorischen Bilder- und Lesebuch. Durch die fragmentarische Autobiografie ziehen sich Gespräche mit Rosa von Praunheim und Monika Treut, zwei der wichtigsten Regisseure, für die Mikesch hinter der Kamera stand. Die Filmemacherin und Kamerafrau, die in diesem Jahr 65 wird, öffnet den Blick auf einen Teilbereich des einstigen Berliner Undergrounds: die schwul-lesbische Szene, bevölkert von unvergesslichen Paradiesvögeln. Vor allem in den sorgfältig reproduzierten Fotostrecken gibt es nostalgisch durchwehte Wiederbegegnungen mit Szene-Protagonistinnen wie Tabea Blumenschein, Ina Blum, Carla Aulaulu, Lotti Huber und Magdalena Montezuma (Foto). Und neben Frank Ripploh oder Udo Kier entdecken wir einen noch unberühmten Christoph Schlingensief.
Norbert Tefelski in: Ticket/Der Tagesspiegel Nr. 4
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