Martin Schmitz Verlag

Kreuzberger Nächte

In dem so wundersamen wie bizarren Buch „OIfen“ laden die Herausgeber, die sich das Pseudonym „Margott & Marjott“ zugelegt haben, aufgeschlossene Nichtdabeigewesene und Nachgeborene zu einer Zeitreise in die wilden Wendejahre ein - und zwar im sagenumwobenen West-Berliner Bezirk Kreuzberg mit seinen bekannt exzentrischen Subkulturen. Die hochgradig nachtaktiven Autoren, als „Fachkräfte für Betreutes Trinken“ vorgestellt, kreisten damals liebend gern um ein Etablissement namens „Cafe Anal“. Dessen genaues Eröffnungsdatum - Ende 1989, Anfang 1990 - liegt im mythischen Halbdunkel. Mit Berichten, Kommentaren, Interviews, Anekdoten, Dokumenten und zahlreichen Zeichnungen sowie atmosphärisch dichten Abbildungen wird die Chronik des von einem lesbisch-schwulen Kollektiv betriebenen Lokals zur feuchtfröhlichen wie sozialkritischen Kultur- und Sittengeschichte einer Zeit, in der das Private tatsächlich politisch genommen wurde und die Politik als Aufforderung zum anarchisch-autonomen Denken und Handeln galt. Nachzulesen ist in der apart skurrilen Anthologie auch, wie sich das Konzept einer dialektisch kreativen Gastronomie („Trinkhalle“) später an anderen Orten mit vergleichbar extravagantem Binnenklima weiterentwickelte. Die eingestreuten Rezepte schrecken vor Solei und Nussrolle nicht zurück. Kristof Magnusson erzählt von seinem Talent zum Lebensmittelkauf und Ulrich Michael Heisig über seinen ersten Auftritt als Irmgard Knef. Wolfgang Tillmans und Manuela Kay steuern ihre Playlists bei. Die goldenen Seitenrahmen geben dem wie ein imaginäres Faksimile aufgemachten Taschenbuch den ironisch-feierlichen Glanz, der es zum alternativ bibliophilen Liebhaberstück prädestiniert.

Irene Bazinger in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 5.8.2010
Zurück

Früher war mehr Lametta
„Olfen“, ein anarchistischer Ausflug in die Berlin-Kreuzberger Vergangenheit und Gegenwart

Es ist meist unterträglich, wenn 40- bis 50-Jährige herum jammern „wieviel besser früher doch alles war“. Noch unerträglicher ist jedoch, dass sie oft auch noch Recht damit haben - zumindest wenn es um die aufmüpfige, bunte Homoszene der 80er Jahre geht. Wie fantasievoll, frisch und queer (bevor alle Beteiligten das Wort überhaupt kannten) es im zugegeben kleinen sozialen Biotop des Westberliner Bezirks Kreuzberg zuging, ist in „Olfen. Reise ins internationale Freundschaftslager“ nachzulesen. Konsequent in der schwarz-weißen Kopiereroptik der damaligen Ära gehalten, präsentiert dieses charmante Zeitdokument die Geschichte eines schwulen, linken Kneipenkollektivs, das 1989 in der Muskauer Straße das Café Anal eröffnete. Parallel bespielten die Lesben den Montag im Anal, dann Café Ana genannt. Hier wurde Service und Sauberkeit zwar klein geschrieben, Selbstverwirklichung jedoch groß. Das Café Anal wirkte als Keimzelle für vieles: Performancegruppen, schwullesbische Partys im SO 36, die Gründung der Kneipen Möbel Olfe und Raststätte Gnadenbrot und schließlich auch des Transgenialen CSD. In einer Zeit, da weder Homoehe noch Dachgeschosswohnungen im Blickpunkt schwullesbischen Begehrens standen, kämpfte man für Freiräume und Selbstentfaltung - bewusst am Rande der Gesellschaft. Dies bezeugen Stammgäste, Beteiligte und Überlebende eindrucksvoll, vor allem dann, wenn Lesben über Schwule sinnieren und umgekehrt. Nicht nur die Vergangenheit, auch die Gegenwart, wie das Geschehen im Möbel Olfe spielen eine Rolle. Verstehen können das nur Eingeweihte und Zeitzeugen. Unbeteiligte werden wohl nichts kapieren - wozu auch?

Manuela Kay in: L-Mag, Juli/August 2010
Zurück

Das Anal in die Annalen
Ein neues Buch feiert Orte schwuler Subkultur wie Café Anal und Möbel Olfe

Zur Kultur gehören das Essen, Trinken, Anschreien und Diskutieren. An einigen Orten gelingt das besser als an anderen, nicht weil der Service tiptop ist, aber die Menschen an der Bar so interessant sind wie sonst nur in der Irrenanstalt. In den frühen 90er Jahren war das Café Anal in der Muskauer Straße so ein Platz, ein Kreuzberger Treffpunkt der schwulen Subkultur, die nach Punk und Wiedervereinigung ihre Position finden musste.
Man wollte „gegen heterosexuelle Polit-Machos und Fönwellen-Schwule“ Stellung beziehen, so erzählt es der lesenswerte Band „Olfen“, der drei Orte homosexueller Gegenkultur anekdotisch aneinanderreiht: das Anal, das Möbel Olfe am Kottbusser Tor und die Raststätte Gnadenbrot in Schöneberg, eine Art Restaurantableger des Olfe. Sehr schön, sehr subjektiv, sehr schrill sind die Geschichten aus dem Untergrund, von Menschen geschrieben, die Teil davon sind. Das ist Zeitgeschichte mit Biergeschmack, aber ohne Stammtisch-Jargon.

Ulf Lippitz in: Zitty 13/2010
Zurück